Geier, R. (2003): Sprachwissenschaftliches Gutachten

 Veröffentlichung des Gutachtens durch den Auftraggeber als illustrierter Flyer zum Film

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Eine Bearbeitung von bereits vorliegenden Texten ist in der Gegenwart fast üblich. Dabei werden zum einen Texte in bestimmte Dialekte übertragen, zum anderen aber auch in sog. Soziolekte. So gibt es zahlreiche Übertragungen von klassischen Texten ins Sächsische durch Lene Voigt, sogar Übertragungen der Bibel sowohl in Dialekte als auch in die Jugendsprache sind bekannt. So beginnt z. B. eine jugendsprachliche Variation von Genesis 1,3 wie folgt:

„ Die Düsternis missfällt dem GROSSEN BOSS. Man sieht ja nicht die Hand vor den Augen! räsoniert er. Licht! Aber ein bisschen dalli! Prompt wird es hell“   

 

Die vorliegende Begutachtung verfolgt das Ziel, Unterschiede der Trans-formationen in einen Dialekt oder in einen Soziolekt zu klären und demzufolge zu beurteilen, inwieweit die o. g. Transformation sich vom Originaltext und dessen Sinn entfernt. 

 

Der Ansatzpunkt einer Klärung solcher Fragen liegt in der Sprachsoziologie. Sie geht davon aus, dass jede Sprache in bestimmte Varietäten differenziert ist. Solche Varietäten entstehen, wenn Sprache unter bestimmten gesellschaftlichen Funktionen verwendet wird. So sind im Deutschen geläufig die Varietäten Jugendsprachen, Fachsprachen und Dialekte. Im Folgenden interessieren nur Jugendsprachen und Dialekte. Da die Verwendung dieser Subsprachen primär an die Verwendungssituationen gebunden ist,  sind diese anhand der vorliegenden Texte zu klären. Bei den Texten zu „Asterix“ ist dabei von folgenden Aspekten auszugehen, die eine Festlegung in eine Varietät determinieren:

1.     Die Helden der Filme stammen aus dem einfachen gallischen Volk.

2.     Die Handlung der Filme ist so angelegt, dass sie vorwiegend im nicht-öffentlichen Bereich stattfindet.

3.     Die Helden stammen aus „einem kleinen Dorf in Gallien“.

Alle diese Faktoren sprechen für eine Anwendung von Varietäten.

 

Es sei zunächst die Varietät Dialekt beschrieben.

Als Dialekt wird eine Sprachschicht bezeichnet, die primär mündlich realisiert wird. Dialekt ist aus einer bäuerlich-agrarischen Produktions- und  Lebensweise hervorgegangen und reflektiert diese im starken Maße. Er ist auf einen räumlichen Geltungsbereich eingeschränkt. Beides lässt Dialekt als prädestiniert für „Asterix“ erscheinen. Neben kleineren, auf engeres Gebiet beschränkten Dialekten haben sich jedoch sog. großräumige Dialekte herausgebildet, die vor allem in städtischen Ballungsgebieten gesprochen werden. Dazu zählt z.B. das Berlinische.  In diesem Kontext ist gerade in der neueren linguistischen Forschung ein neuer, für das zur Sache stehende Problem wesentlicher Aspekt hinzugetreten. Neuere Untersuchungen zum Dialekt befassen sich zunehmend mit soziologischen Fragestellungen. Wiederholt wurde die Korrelation von Dialekt und sozialer Schicht untersucht. Dabei wurde konstatiert, dass Dialekt sich neben Raumbindung auch durch schichtenspezifische Aspekte auszeichnet. Er wird gesprochen primär von älteren Personen in nicht-offiziellen Gesprächssituationen. Die früher einmal formulierte Bindung des Dialekts an niedrigere Sozialschichten ist allerdings wissenschaftlich nicht mehr aufrecht zu erhalten. Als letztes wesentliches Moment des Dialektes sei genannt, dass er nicht universell verwendbar ist, sondern nur bestimmte Funktionen im Rahmen der Kommunikation ausübt.

 

Sprachliche Merkmale von Dialekten sind:

- ein hohes Maß an Bildlichkeit, Anschaulichkeit und Konkretheit, die zum Ausdruck kommt in der häufigen Verwendung von Sprichwörtern, Redensarten

und Vergleichen.

- Während die Standardsprache mehr zusammenfasst, haftet der Dialekt häufiger am Einzelfall und Speziellen. Dazu trägt bei der Satzbau mit Umschreibungen und Wiederholungen

 - Unterschreitungen der normalsprachlichen Schicht, Verwendung von umgangssprachlichen Wortschatz

 

Jugendsprache:

Im Zusammenhang mit der Medienentwicklung ist Jugendsprache zu einem von der Sprachwissenschaft stark beachteten Phänomen geworden, das unter den verschiedensten Aspekten untersucht worden ist. Zumeist wird Jugendsprache gefasst als sog. Soziolekt, also eine Gruppensprache, die der Integration nach innen und der Abgrenzung nach außen dient. Sie ist in ihrer Existenz an ein bestimmtes Alter der Sprachträger gebunden und dient vorwiegend der mündlich-privaten Kommunikation (schriftlich in: Chat, SMS). So entwickeln sich spezifische jugendkulturelle Stile, die geprägt sind durch den Rückgriff auf spezifische kulturelle Ressourcen. Diese aber werden zum großen Teil medial vermittelt. Türkdeutsch oder Kanakisch, auf das noch näher einzugehen ist, wird z. B. durch Filme, Musik und Kabarett medial verbreitet. Auch die Werbung ist ein Multiplikator der Jugendsprache.

 

Teile dieser Jugendsprache sind geprägt durch Stil- und Sprachmischungen, die Kennzeichen der jugendlichen Migrantenkultur sind. So sind bekannte jugendsprachliche Mischungen Französisch – Arabisch, Schwedisch - Finnisch und in Deutschland Türkisch – Deutsch. Letzteres wird als Türkdeutsch bzw. Kanak(isch) bezeichnet. Gibt man die entsprechenden Stichwörter in eine Suchmaschine des WWW ein, so werden bei Sichtung der aufgelisteten Sites die Breite entsprechender Texte in diesem Soziolekt, aber auch die Vielzahl der Aspekte bei seiner Analyse deutlich. Selbst die Evangelische Akademie Tutzing veranstaltete eine Tagung unter der Thematik „Türkdeutsch“ und bezeichnet dieses in der Tagungsankündigung als eine Form des interkulturellen Zusammenlebens. Die linguistische Fachliteratur vergleicht Türkdeutsch mit dem „Black English“ der Schwarzen in den USA. Diese benutzen die aus der afrikanischen Tradition überlieferten Sprachrituale dazu, den Stolz auf ihre Kultur auszudrücken. Ebenso dient Kanakisch dazu, die Verbundenheit junger Türken mit zwei Kulturen zu zeigen. Es soll demnach sowohl Verbundenheit als auch Stolz demonstrieren. Als ein solches Zeichen von Berechtigung und Emanzipation sollte Kanakisch betrachtet werden.

 

Mit anderen Vorkommensweisen der Jugendsprache teilt Kanakisch seine sprachlichen Besonderheiten. Diese sind auch in der Filmvariante zu finden.

1.     Bestimmte Kraftausdrücke: Scheiß-Remix für Troubadix

2.     Das Vorkommen von jugendsprachlichen Nicknames (Krassemiene, Pittbullix)

3.     Anschaulichkeit durch Beispiele: Nachweislich ist die Anzahl von Vergleichen und Beispielen sehr hoch

4.     Der Wortschatz des Kanakischen wird allgemein als sehr gering bezeichnet (ca. 300 Wörter, wobei im Alltag schon 30 zur Verständigung reichen). Cool und krass z. B. dienen als positive Adjektive, die generell einsetzbar sind, weil sie einen so großen Bedeutungsumfang haben. Das heißt, die adäquate Wiedergabe von Sachverhalten muss demzufolge umfangreicher sein. Dadurch sind die Dialoge zwangsläufig länger.

 

Durch den Einfluss der Medien hat Kanakisch sich zu einer allgemein akzeptierten Variante der Jugendsprache entwickelt, die nicht an eine türkische Tradition der Sprachträger gebunden ist, allerdings besonders in Gebieten mit einem großen Anteil an türkischer Bevölkerung gesprochen wird, d.h. vor allem in westdeutschen Großstädten.

 

Es wurde bereits darauf verwiesen, dass auch bei Dialekten eine soziale Komponente vorhanden ist. Sie werden in spezifischen Kommunikations- situationen  gesprochen und sind in der Regel an ein bestimmtes Alter der Sprachträger gebunden. Diese Merkmale treffen voll und ganz auf Jugendsprache allgemein und Kanakisch im Besonderen zu. Die Gebundenheit der Sprachträger an ein bestimmtes Alter führt zwangsläufig zu der Frage, welche sprachliche Subvariante den Rezipienten der „Asterix“-Filme mehr entspricht. Sie dürfte eindeutig zu Gunsten der vorliegenden Bearbeitung beantwortet werden. Gegen eine „Asterix“-Version in Jugendsprache spräche m. E. lediglich das Alter der ‚handelnden Personen’.

 

Ein Vergleich der Filmversionen in Standardsprache und Kanakisch, auch der Textbücher ließ mich zu der Auffassung kommen, dass, wenn Dialektfassungen akzeptiert werden, keine sprachlichen und sprachwissenschaftlichen Bedenken gegen die zu beurteilende Version von „Asterix in Amerika“ bestehen.

 

 

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